Dauernd werden Vertreter gesucht, aber niemand mag den Job machen. Warum eigentlich nicht? Eine Reise mit Marco und seinen Staubsaugern. (Erschienen in der Süddeutschen Zeitung und hier auf jetzt.de).

Es schneit und es friert, als an einem Vormittag im Dezember ein silberner Mercedes in die Siedlung bei Donauwörth in Bayern biegt. Marco Bissinger, 24, steigt aus, streift seinen Mantel über und hievt den Koffer mit dem neuen Staubsaugermodell von Vorwerk aus dem Auto. Er dreht sich um und sieht seinen Arbeitsplatz: ein Einfamilienhaus neben dem anderen. Sieben Jahre hat er als Koch gearbeitet, dann klingelte ein Vorwerk-Vertreter an der Wohnung der Eltern und Marco öffnete. Sie kamen ins Gespräch und der Vertreter fragte, was er denn als Koch so verdiene und wie die Arbeitszeiten seien. Dann bot er ihm an, ihn einen Tag zu begleiten und Marco traute seinen Augen nicht. Der Mann klingelte bei fremden Menschen und diese Menschen kauften Staubsauger. Seit zwei Jahren ist Marco selbst Vertreter. Er läutet jeden Tag an 30 bis 50 Türen und verrichtet einen Job, dem viele Menschen mit verschränkten Armen gegenüberstehen. Manche lassen ihn rein, die meisten nicht. Manche haben schon einen Vorwerk-Sauger. Frau Seidel etwa. Sie bittet Marco ins Wohnzimmer.

Marco

Marco: Wo haben wir denn ihr Gerätle wenn ich fragen darf, Frau Seidel? Dann machmer einen kleinen Service. (Frau Seidel holt den Sauger.) Ah, der 135er, soweit zufrieden, Frau Seidel?
Frau Seidel: Ach, ja.
Marco: Frau Seidel, wo darf ich denn einstecken, wenn ich fragen darf? (Marco sucht eine Steckdose.)
Frau Seidel: (deutet) Ach, da, ja.
Marco: Dann lassmer den mal schnell laufen. (Er schaltet ein. Es möhrt laut.)

Marco mit Frau Seidel

Vertreter werden zum Beispiel vom Topfverkäufer AMC, vom Seifenmacher HAKA Kunz, vom Haushaltsartikelproduzenten Tupperware oder von Vorwerk geschickt. Sie arbeiten in einer Branche, die seit einiger Zeit kräftig wächst. Im „Branchenreport Direktvertrieb“ aus dem Jahr 2009 steht, dass die Umsätze jedes Jahr um bis zu zehn Prozent zunehmen, 2009 waren sie in Deutschland bei fast 6,5 Milliarden Euro. Angeblich arbeiten in Deutschland knapp 800.000 Menschen als Vertreter, die meisten im Nebenberuf, aber immerhin sieben Prozent verkaufen Vollzeit. Michael Zacharias von der Fachhochschule Worms hat den Report verfasst und weiß, dass die Nebenberufler im Schnitt 820 Euro im Monat verdienen, während die Hauptberuflichen im Schnitt auf 6.000 Euro kommen. (Die Provisionen im Direktvertrieb liegen meist zwischen 15 und 40 Prozent. Die Superstars unter den Staubsaugervertretern verkaufen angeblich manchmal zehn Geräte am Tag.) Ein guter Verdienst. Trotzdem sind die Stellenmärkte im Internet und in der Zeitung gut gefüllt mit Gesuchen nach Vertriebsmitarbeitern jeder Art. Vorwerk zum Beispiel hat 2500 Verkäufer und könnte nach eigenen Angaben doppelt soviele brauchen. Aber irgendwie kommen viele mit den Eigenheiten des Jobs nicht klar. Die Vertreter bekommen keinen festgelegten Lohn, sie verdienen nur an verkauften Geräten. So entsteht Verkaufsdruck und wer mit diesem Druck nicht umgehen kann, lässt den Staubsauger bald liegen. Angeblich hören zehn bis 20 Prozent aller Vorwerk-Vertreter, obwohl sie geschult wurden, nach einem Jahr auf. Das Unternehmen versucht jetzt darauf zu reagieren. Seit gut einem Jahr bekommen die Verkäufer feste Vertriebsgebiete zugeteilt. Vielleicht, so die Hoffnung, macht ihnen die Arbeit mit einem festen Kundenstamm mehr Spaß. Aber nicht jeder hat die Fröhlichkeit im Gemüt, die es braucht, um dauerhaft Menschen mit dem geflöteten Satz „Hallo, nicht erschrecken, Bissinger, Hause Vorwerk, Kobold“ in ein Gespräch zu verwickeln.

Marco: Wenn ich fragen darf: Waren sie dies’ Jahr auf der Messe, Frau Seidel?
Frau Seidel: Nee.
Marco: Weil wir haben jetzt eine Weltneuheit rausgebracht.
Frau Seidel: Pföa.
Marco: Sie haben ja viele glatte Böden und nur ein paar Brückenteppiche. An unserer Elektrobürste ist unten kein Blech mehr dran. Da sind vorne zwei Räder und hinten zwei Räder. Das heißt, er liegt mit keiner Fläche mehr auf. (Zwanzig Minuten lang erklärt Marco das Gerät.) Das Tolle ist, der hat da drin so a Heberle, der macht nur die Tüte auf, wenn er saugt. Dass keine Spinne und nix mehr retour krabbeln kann!
Frau Seidel: Schönschön. Und schöner Preis, oder?
Marco: Wissen’s: Qualität kostet seinen Preis. Aber jetzt zeige ich ihnen erstmal, was das Gerät kann, weil das minimiert den Preis um einiges.
Frau Seidel: Da hinten sind immer Fussel, von meinem Strickzeug.
Marco: Stricken Sie gern, oder?
Frau Seidel: Ich brauch’ nur jemand’, der wo das zusammennäht. Ich hab ja gedacht, meine Mutter käme zum Zusammennähen, aber die will ja nit. Jetzt ist mein Vater erst gestorben, da hat sie gesagt, sie kommt mal . . .
Marco: Da schaun’s mal her. Jetzt tun wir mal unser berühmtes Tuch rein. Das ist sauber. (Er legt ein Demo-Tüchlein in den Sauger, auf dem sich der angesaugte Staub sammeln wird und saugt.) Wann haben Sie gesaugt, Frau Seidel?
Frau Seidel: Ich meine . . . gestern.
Marco: Dann schauen Sie mal her. (Er holt das grüne Tuch aus dem Sauger, das jetzt arg staubgrau ist.)
Frau Seidel: Das kann ja nicht sein!
Marco: Gell, da meint man, es ist alles schön sauber . . .
Frau Seidel: Jetzt weiß ich immer noch nicht den Preis.
Marco: Da kommen wir gleich dazu. Ein Auto fahren wir ja auch erst Probe.
Frau Seidel: Ich brauch kein neues Auto.
Marco: Wir haben die Herbstputzwochen und da haben wir unseren Kobold für 499 im Angebot. Das ist schon Wahnsinn, gell?
Frau Seidel: Na wenn ich jemand hätte, der mir meinen alten abkaufen würde . . .
Marco: Einfach mal mit dem Mann reden, vielleicht gibt’s ja ein Weihnachtsgeschenk!
Frau Seidel: Kommen Sie mal in mein Alter und haben zu Weihnachten vier Enkel zu beschenken. Und im Januar geht es gleich weiter mit Geburtstagen. Nee. Das ist der Horror.

Giuseppe Sollazzo, 35, ist Marcos Kollege und führt seit sieben Jahren den Kobold vor. (In den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts hörten immer mehr Menschen Radio und hatten keine Lust mehr auf die Grammophone von Vorwerk. Ein Ingenieur hatte 1929 die Idee, die Grammophonmotoren mit Handstaubsaugern zu verbauen. Das Geschöpf trug den Namen „Kobold“, es sollte die „Erfüllung des Märchens vom Heinzelmännchen“ sein. Leider lief das Ladengeschäft nicht wie erwartet. Also ging das Unternehmen aus Wuppertal in den Direktvertrieb und klingelt sich seither durch Deutschland.) Giuseppe Sollazzo sagt: „Wenn man ein zurückhaltender Typ ist und seinem Gegenüber nicht in die Augen schauen kann, dann ist man hier fehl am Platze.“ Vielleicht liegt das schiefliegende Renommee des Direktvertriebs aber auch an so etwas wie verschiedenen Verkaufskulturen. In Taiwan arbeiten nach den Worten von Michael Zacharias von der FH Worms mehr als 18 Prozent der Bevölkerung im Direktvertrieb. In den USA sind es mehr als fünf Prozent. In Deutschland sind es dagegen nur knapp ein Prozent. Das Klinkenputzen genießt nur einen mittelguten Ruf und Marco kennt die Vorurteile. Als er seinen Eltern sagte, dass er nun Staubsaugervertreter würde, schüttelte die Mutter, eine Friseurin, den Kopf. Sie akzeptierte die Entscheidung „nur mit Hängen und Würgen“, erinnert sich Marco. Neulich fragte ihn seine Tante: „Machst du den Scheiß immer noch? Es kauft doch keiner mehr was.“ Marco lacht über den Satz, als er mittags in einem Restaurant in Donauwörth vor einem Kinderschnitzel sitzt. „Sie kennt das Geschäft nicht. Mein Umsatz hängt von den Tüchern ab, die ich vollsauge. Frau Seidel zum Beispiel hat heute Nacht immerzu das Tuch vor Augen. Sie denkt: ,Ich will den Dreck draußen haben.‘“

Marco: (Am Nachmittag. Marco klingelt an einer Haustür. Ein Mann öffnet.) Nicht erschrecken, Bissinger ist mein Name, ich komme vom Hause Vorwerk, Kobold. Vorwerk ist bekannt?
Mann: (Schaut.) Na gehen’s mal rein.
Marco: (Geht rein. In der Küche sitzt eine kräftige Frau am Tisch und macht Brotzeit.) Ah, die Frau . . .
Frau: Wir brauchen nix.
Marco: Kommen Sie zurecht mit ihrem Sauger?
Frau: Wissen Sie, uns passt das jetzt gar nicht.
Marco: Ehrlich? Weil der Mann gesagt hat, wir dürfen . . .
Frau: (streng) Der sagt viel.
Marco: Dann schimpfen wir den gleich mal.
Frau: (Lacht, aus dem Nichts, laut und herzlich. Der Mann bringt den Sauger.)
Marco: (Beginnt den Service.) Schauen wir mal die Filtertütenanzeige . . .
Frau: Das macht alles mein Sohn, da lang ich nichts an.
Marco: (Ehrlich geschockt.) Au, au, au, da müssen Sie Ihren Sohn aber mal gscheit schimpfen. (Marco zieht sehr demonstrativ den Staubsaugerbeutel raus.)
Mann: Der ist schon übervoll.
Marco: Gut, dass ich gekommen bin. (Er tippt an den steinharten Beutel.) Bei Ihnen isses warm – darf ich ablegen?
Mann: Das ist der Holzofen.
Marco: Des is’ gleich eine ganz andere Wärme. Schürt ihr vom Keller rauf?
Mann: Alles vom Keller.
Marco: Sehr gut, da hast den Dreck nicht in der Wohnung. (Marco legt den Mantel ab.)

Marco redet komisch bei den Leuten. Er nennt sie beharrlich bei Ihrem Namen und fragt bei jeder Frage, ob er auch fragen darf. „Die Menschen fühlen sich dann hervorgehoben“, sagt er. „Das Entscheidende aber sind die ersten Sekunden. Da muss ich dem Kunden sympathisch sein.“ Wenn die Abfuhr kommt („Ich kauf nix.“) kontert er mit einer Frage. Welcher Sauger ist im Haus? Gibt es schlechte Erfahrungen? Und trotzdem geht dann immer wieder die Tür zu. Aus der Perspektive des Vertreters ist die Tür ein Werkzeug und der Mensch an der Klinke ist der Richter, der entscheidet, wann er es benutzt. „Du darfst das erste ,Nein‘, das dir der Kunde entgegenschmeißt nie persönlich nehmen. Du weißt nie, was vor deiner Ankunft hinter der Tür passiert ist“, sagt Marco. „Gab es Probleme mit den Kindern, mit dem Partner, mit den Eltern? Darin liegt mein Kick. Dass ich jeden Tag was Neues erlebe. Dass ich jeden Tag neue Menschen habe, auf die ich mich einstellen kann.“ Giuseppe Sollazzo kam in Italien zur Welt und glaubt, dass die Deutschen heute entspannter sind. „Ich bin seit 1989 in Deutschland. Ich habe den Deutschen in meiner Jugend als quadratisch, praktisch, gut kennengelernt. Der Deutsche kennt sein Ziel, er schaut nicht rechts, nichts links. Jetzt in meiner Zeit als Fachberater habe ich das Gefühl: Die Leute werden lockerer. Vom Lebensgefühl her stellen sie sich jetzt mediterran ein. Ich kannte noch die robuste Einrichtung: Eiche rustikal. Heute: warme Farben. Pastellfarben.“

Am Nachmittag in der Siedlung bei Donauwörth. Ein Mann auf einem großen Rasenmähertraktor fährt den Gehsteig entlang und schiebt mit einem kleinen Räumschild Schnee weg. Neben ihm, auf einer montierten Stange, blinkt ein orangenes Licht. Die Deutschen mögen es immer noch sauber, aber eben auch pastellig. Marco öffnet die Gartentüre zu einem Haus, kehrt wieder um. „Da ist kein Schnee geräumt, da ist niemand zu Hause.“ Er klingelt am nächsten Haus. Ein Hund kommt aus dem Garten, Marco bremst. „Manche Leute schauen nicht selbst zuerst raus“, sagt er leise. „Die lassen den Hund zuerst raus schauen. Einmal hatte ich einen Hund, der hat keine sechs Mal gebellt, dann hat er mich an der Hose gehabt. Das merkst du dir. Das steckt dann in einem drin.“ Er geht zum nächsten Haus. Klingeln. „Bissinger, von Vorwerk sind wir unterwegs.“ – „Wir haben Miele, danke.“ Die Deutschen kennen ihre Staubsauger beim Namen. Marco trägt die Daten immer in ein Büchlein ein. Ort, Straße, Staubsaugertyp. Es dämmert jetzt. Marco klingelt ein letztes Mal.

Manchmal schaut er sich die beiden vergangenen Jahre an und wundert sich. Über den Messie, bei dem der Saugkanal des vorhandenen Saugers von der Filtertüte bis zur Elektrobürste voller Tannennadeln war und die Wohnung zugeramscht. ,So möchtest du nicht leben‘, dachte Marco. Dann erinnert er sich an die ältere Dame und den Herrn, die keine Nachkommen haben und nicht wissen wohin mit ihrem Geld. „Die haben mich gefragt, ob meine Mutter eine Adoption genehmigen würde. Ich war da fast drei Stunden drin nach der Vorführung. Die haben mir das Haus, die Sauna, das Auto gezeigt – da hab ich mich reinhocken dürfen! Ich war für die schon fast wie der Enkel.“ Er denkt nach. „Es ist Wahnsinn, wie schnell du innerhalb von ein paar Stunden so ein krasses Vertrauen aufbauen kannst.“ Marco schüttelt den Kopf. „Das ist echt heftig.“ Es scheint seine größte Lehre zu sein: Der Mensch vertraut sehr gern.

Marco: Hallihallo, von Vorwerk bin ich unterwegs. (Ein Mann brüllt Unverständliches aus dem Spalt eines gekippten Klofensters.) Sind wir zufrieden? (Stille) Chef, passt alles bei Ihnen?
Der Mann im Klo: Jaja, was is’n?
Marco: Bitte?
Der Mann im Klo: Wer is’n da?
Marco: Von Vorwerk bin ich.
Der Mann im Klo: Von was is’ des?
Marco: Von Vorwerk. (Der Mann im Klo öffnet jetzt die Haustür.)
Der Mann: Meine Frau ist auf dem Diabetikertreffen.
Marco: Dann schau ich morgen nochmal vorbei.
Der Mann: Ja.

(Erschienen in der Süddeutschen Zeitung und auf jetzt.de)